Christian-Geissler-Gesellschaft e.V.

Wilhelmsburger Freitag (1964)

Wilhelmsburger Freitag
Buch: Christian Geissler, Regie: Egon Monk.
Mit Ingeborg Hartmann, Edgar Bessen, Eva-Maria Bauer, Harald Vock u.v.a.
90’11″ NDR 1964, Erstsendung 19.3.1964

Verkehrsschilder Richtung Wilhelmsburg, Kamerablicke über die Stadt, das Neubaugebiet – in den Flur der Wohnung. Jan Ahlers huscht – noch mit nacktem Oberkörper – durchs Bild, durch den Türschlitz wird die Post eingeworfen – überwiegend Werbung. Renate sammelt sie auf. Wir folgen ihr in die Küche. Ein ganz normaler Morgen. Erzählt wird in Bildern. Nach drei Minuten fällt der erste Satz. Frühstück. Ihr ist übel. Ist sie schwanger? Was so ein KInderwagen kostet. „Wir waren ganz schön blöd.“ Er staunt über die Menge Brot, die sie ihm einpackt – „Ich hab Hunger, und dann mag ich plötzlich nichts essen.“ Widersprüche. Glück sieht anders aus. Im Radio läuft „ihr Lied“: „Liebe mich, immer und ewiglich …“ – Damals waren sie glücklich. Heute: Geldprobleme. Die neue Wohnung. Eine Werkswohnung. Abhängigkeit vom Chef. Ratenzahlung für die Einrichtung und das Autor. Und zum Leben? „Die haben und ganz schön in der Mangel.“ Das schaffst du schon, muntert Renate Jan auf. „Ja, das schaffe ich schon!“, klingt er trotzig.

>   

Acht Minuten Zeit lässt sich der Film für dieses Entree. Dann verlässt Ahlers die Wohnung, fährt zur Baustelle, macht den Bagger fit für den Einsatz. „Wilhelmsburger Freitag erzählt einen normalen Tag im Leben des jungen Arbeiterpaares, an dem es Lohn gibt, an dem sich die Chancen auf ein am Konsum orientiertes Glück beweisen müssen. Bei ihm reicht das Geld nicht, es macht – schwarz – nach der Arbeit noch eine Sonderschicht für den Chef. Sie bringt die Wohnung in Ordnung, kauft ein und macht einen Bummel durch die Hamburger Innenstadt.

>   

Der Film zeigt, was er erzählen will. Er zeigt Ahlers isoliert von Kollegen, umworben vom Chef, der ihn „kauft“ und willfährig macht, indem er ihm suggeriert, er sei etwas Besseres: „Sie sind in Ordnung, Ahlers!“ Mittags gibt es Lohn. Renates Blicke werden immer wieder auf alles gelenkt, was mit Babies und Kleinkindern zu tun hat: Sehnsucht & Interesse.

>   

Abends fährt Ahlers für den Chef eine Extra-Tour. Als er nach hause kommt, tut sie so, als ob sie schon schläft, schielt zu ihm. Er legt die Platte auf, ihr Lied. Macht sie sofort wieder aus. Sie guckt, er sieht, dass sie wach ist. Macht das Lied wieder an. Sie küssen sich. Kurzer Moment des Glücks, dann wieder jeder für sich allein. Er ist fix und fertig, weiß nicht, warum. Er denkt, er muss sich immer gegen irgendetwas stemmen, weiß aber nicht, wogegen: „Kommst du nicht gegen an“. – „Manchmal denke ich, da ist was hinter mir.“ – „Fühlt sich so an. – „Und wenn du genauer hinguckst, guckst du gar nicht mehr durch.“
Samstag ist wieder Schwarzarbeit angesagt. Eine ewige Mühle. Sie wollen jetzt noch kein Kind haben. Seine Hoffnung: Vielleicht bist du doch nur krank. Ihr Glück haben beide an den Konsum verkauft.

>   

Die Figur Ahlers wird zu einer Konstanten in Geisslers Werk, einer Figur, die zwischen Ohnmacht und Gegenwehr changiert. In seinem Film „Altersgenossen“ (1969) und dem parallel geführten Hörspiel „Verständigungsschwierigkeiten“ zeigt Geissler die Politisierung Ahlers, der in den folgenden Romanen zu einer der vielen Hauptfiguren wird. Interessant in „Wilhelmsburger Freitag“ ist heute vor allem die „Filmsprache“: Es wird kaum gesprochen, oft dienen Sprachfetzen nur als „Atmo“. Die Aussagen werden in Bildern getroffen. Es reicht völlig aus, die Figuren zu zeigen, was sie tun, was sie sehen, ihre Gesichter. Dazu eine heute etwas melodramatisch wirkende Musik.

Literatur

Michael Töteberg: Erzählern in Bildern, Nachdenken in Worten. Zur Film- und Fernseharbeit Christian Geisslers. In: Schlachtvieh / Kalte Zeiten Michael Töteberg: Eine produktive Verbindung – auf Zeit: Egon Monk und Christian Geissler. In: Julia Schumacher / Andreas Stuhlmann (Hg): „Die Hamburger Dramaturgie der Medien. Egon Monk – Autor, Regisseur, Produzent“.

  • Peter Ellenbruch: Die äußere Wirklichkeit des bundesdeutschen Alltags. Filmwissenschaftliche Anmerkungen zu „Wilhelmsburger Freitag“ von Christian Geissler und Egon Monk. In: Detlef Grumbach (Hg.): Der Radikale.
  • Christian Geisslser: „Schlachtvieh / Kalte Zeiten“ (aus dem Drehbuch ist die deutlich erweiterte Erzählung „Kalte Zeiten“ entstanden.
  • Michael Töteberg: Erzählern in Bildern, Nachdenken in Worten. Zur Film- und Fernseharbeit Christian Geisslers. Nachwort in: Schlachtvieh / Kalte Zeiten
  • Michael Töteberg: Eine produktive Verbindung – auf Zeit: Egon Monk und Christian Geissler. In: Julia Schumacher / Andreas Stuhlmann (Hg): „Die Hamburger Dramaturgie der Medien. Egon Monk – Autor, Regisseur, Produzent“.

Kommentare sind geschlossen.

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner